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Urinieren im Sitzen

Richtiges Sitzen pinkeln - nicht auf dem Boden, sondern auf der Toilette - immi.de
Richtiges Sitzen pinkeln - nicht auf dem Boden, sondern auf der Toilette - immi.de

mit freundlicher Genehmigung von Hr. Prof. Dr. med. J. Sökeland (26.09.2010)

Männer, die im Sitzen Wasser lassen, sollen keine richtigen Männer sein und ihre Gesundheit riskieren. Sind das Gerüchte? Oder liefern Geschichte, Kultur, Urologie, Hygiene oder Psychologie Belege dafür?  Wir wollen etwas Licht in dieses dunkle Männerkapitel bringen. Denn immer wieder erreichen uns Fragen, ob für Männer das Wasserlassen im Sitzen oder im Stehen besser sei. Auch wird das Thema im Internet und an Stammtischen heftig diskutiert, mit teilweise haarsträubenden Argumenten: Den Schlusspunkt bildet Sitzpinkler, gleichbedeutend mit Weichei und Warmduscher, Schimpfworte, die ans Eingemachte gehen und bedeuten, dass ein Mann kein richtiger Mann sei.

Erstaunliches in Geschichte und Kultur

„Frauen lassen ihr Wasser im Stehen, die Männer in Sitzen.“ So beschreibt Herodot die Gewohnheiten in Ägypten, wo sich zudem die Frauen frei auf den Märkten bewegen und alle möglichen Berufen nachgehen. Damit stellt er das aus unserer heutigen Sicht im wörtlichen Sinne verkehrte Verhalten in einen direkten Zusammenhang zum stärker selbstständigen Status der Frauen im alten Ägypten. Heute erstaunt oder amüsiert uns diese Anekdote. Aber warum eigentlich?

Weltweit scheint bei Männern das Urinieren im Stehen die Regel. Bei Frauen ist dagegen die Hocke weit verbreitet, wird aber bei „Verwestlichung“ vom Sitzen abgelöst (wegen der in den Industrienationen aus noch näher zu untersuchenden Gründen üblichen Sitztoiletten). Doch nehmen beide Geschlechter in fast allen Kulturen beim Wasserlassen traditionell eine unterschiedliche Körperhaltung ein.

Warum dies so ist, darüber kann man nur spekulieren. Denn Tatsache ist, dass der Urin nicht nur bei Frauen, sondern auch bei Männern in der Regel die Beine und Füße trifft, wenn sie die Blase in senkrechter Haltung ohne Zuhilfenahme der Hände entleeren. Beide können jedoch den Strahl mit dem richtigen Handgriff vom Körper weglenken. Entscheidend ist also nicht die Anatomie, sondern die Kultur, die bei uns nur dem Mann das „Handanlegen“ erlaubt.

Was sagt der Urologe?

Kurz und bündig: Uns ist keine wissenschaftliche Untersuchung bekannt, die belegen oder auch nur einen Hinweis darauf geben würde, dass die Körperhaltung beim Wasserlassen kurz- oder langfristig einen Einfluss auf Organfunktionen hat: Weder auf die Blasenentleerung, noch auf die Stärke des Harnstrahls (der unterstützende Druck der Eingeweide auf die Blase dürfte gleich sein) oder gar auf die Prostata- oder Sexualfunktionen.

Aus unfallchirurgischer Sicht dürfte das Urinieren im Sitzen allerdings sicherer sein, wegen der geringeren Verletzungsgefahr bei einem etwaigen Sturz. Dies gilt für Männer wie für Frauen, vor allem im vorgerückten Alter und mit Erkrankungen, beispielsweise von Herz, Blutgefäßen oder Gleichgewichtssinn. Wegen der (unwahrscheinlichen) Möglichkeit einer Infektionsübertragung durch die Toilettenbrille kann die Sitzposition aber auch eine Gesundheitsgefährdung in sich bergen, insbesondere bei mangelhafter Hygiene.

Aus hygienischer Sicht

Die bei uns verbreiteten Sitztoiletten sind für Stehpinkler beiderlei Geschlechts völlig ungeeignet: Selbst bei perfektem Zielen spritzt ein Teil des Urins wieder heraus und verschmutzt die Toilette und ihre Umgebung. Die Folgen können mannigfaltig sein, zum Beispiel Geruchsentwicklung, Schäden an Wand, Boden und Einrichtung, Ekelgefühle bei den nächsten Benutzern und deshalb erneute Benutzung im Stehen, Übertragung von Infektionskrankheiten, erhöhter Reinigungsaufwand, Abscheu bei der Reinigungskraft (das ist nicht selten die eigene Frau).

„Er war der erste Mann gewesen, den Fermina Daza urinieren hörte. Sie hörte ihn in der Hochzeitsnacht, in der Kabine des Schiffs, das sie nach Frankreich trug, während sie seekrank darniederlag, und das Tosen seines Pferdewasserfalls erschien ihr so machtvoll und so herrisch, daß es ihre Angst vor den befürchteten Verletzungen noch steigerte. Diese Erinnerung kam ihr häufig in den Sinn, als die Jahre den Wasserfall nach und nach abschwächten, weil sie sich nicht damit abfinden konnte, daß er jedesmal einen nassen Klosettrand hinterließ. Doktor Urbino versuchte sie mit für jeden, der sie verstehen wollte, leicht einsichtigen Argumenten davon zu überzeugen, daß dieses Mißgeschick sich nicht, wie sie behauptete, wegen seiner Unachtsamkeit täglich wiederholte, sondern aus einem organischen Grund: Sein jugendlicher Strahl war so bestimmt und direkt gewesen, daß er in der Schule mit seiner Zielsicherheit beim Flaschenfüllen Turniere gewonnen hatte, doch durch den Altersverschleiß war der Strahl nicht nur schwächer geworden, sondern hatte sich auch gekrümmt, verzweigt und schließlich in ein eigenwilliges Brünnlein verwandelt, und das trotz aller Anstrengungen, ihn zu begradigen. Er sagte: »Das Klosett muß jemand erfunden haben, der nichts von Männern verstand.« Zum häuslichen Frieden trug er mit einer täglichen Geste bei, die eher ein Zeichen von Demütigung als von Demut war: Er wischte die Ränder des Klosetts nach jeder Benutzung mit Klopapier ab. Sie wußte das, sagte aber nie etwas, solange die Ammoniakdämpfe im Bad nicht zu offenkundig wurden, dann erklärte sie, als decke sie ein Verbrechen auf: »Hier stinkt es nach Kaninchenstall.« Am Vorabend des Greisenalters brachte ihn die Körperstörung selbst auf die endgültige Lösung: Er pinkelte wie sie im Sitzen, was die Brille sauber und ihn im Zustand der Gnade beließ.“Zitat aus Gabriel Garcia Marques: Die Liebe zu Zeiten der Cholera

In der Tat sind unsere Sitztoiletten eher für Frauen gemacht. Denn bei kleinen Jungen trifft der Strahl gelegentlich zwischen Becken und Brille hindurch, und bei erwachsenen Männern kann der Penis das Innere des Beckens berühren. Aus hygienischer Sicht schneiden hier Sitzpinkler trotzdem deutlich besser ab als Stehpinkler. Noch besser geeignet sind die in Privatwohnungen leider selten anzutreffenden Urinale (Pissoire, Pinkelbecken), von denen es seit neuestem auch spezielle für Frauen gibt.

Psychologisch betrachtet

Überspitzt könnte man sagen: Als die Männer vor vielen Jahren noch Patriarchen waren, die Frauen hingegen am häuslichen Herd saßen und ihre Männer anbeteten, war die männliche Dominanz unangetastet. Heute bleiben dem Mann davon nur noch zwei Dinge übrig, wobei ihm das zweite mit der Entwicklung von Urinalen für Frauen auch noch streitig gemacht wird: Zum einen eine gewisse körperliche Überlegenheit, zum anderen das Privileg, seine Blase im Stehen zu entleeren.

Dass er dies gerne tut, sieht man überall. Während das weibliche Geschlecht sich in der freien Natur dabei schamhaft hinter Büschen verbirgt, steht er sichtbar und aufrecht am Straßenrand und erleichtert sich. Für das Selbstwertgefühl des Mannes spielt dies offenbar eine bedeutende Rolle:

„Denn Männer, die seit Generationen gewöhnt gewesen waren, ihren von hiesigen, angeblich die Nierentätigkeit fördernden Wein geschwellten Blasen ausgiebig gegen Mauern und Nischen freien Lauf zu lassen, wenn es sie gerade ankam, würden wahrscheinlich wenig geneigt sein, sich an einer ein für allemal fest stehenden Stelle zu erleichtern, wo sie all jener kleinen Annehmlichkeiten entbehrten, die man empfindet, wenn mit dem Strahl eine Blattlaus verfolgt, einen Grashalm niedergedrückt, eine Ameise ertränkt oder eine Spinne in ihrem Netz behelligt wird.Auf dem Lande, wo es an Zerstreuungen fehlt, muß man auch den geringsten Vergnügungsmöglichkeiten Rechnung tragen und auf das männliche Privileg Rücksicht nehmen, dies alles stehend, ungeniert und unbekümmert zu tun, was auch das Prestige bei den Frauen erhöht, die man zweckmäßigerweise damit immer wieder an ihre Unvollkommenheit erinnert, um sie zu veranlassen, ihre verderblichen Zungen zu beherrschen und ihr ohrenbetäubendes Gezeter einzuschränken.“Zitat aus Gabriel Chevallier: Clochemerle

Hier sind wir also bei der Psychologie des Mannes angelangt. Genauer gesagt, wie er sich als Mann definiert. Sieht er Stehpinkeln als Zeichen von Überlegenheit und Manneskraft oder als (gelegentlich) schlechte Angewohnheit, die er auch ändern kann, ohne sich infrage zu stellen? Bedeutet Freiheit für ihn mehr als jederzeit zu können, bei Bedarf gegen den nächsten Baum oder die nächste Hauswand zu pinkeln? Die Erörterung dieser Fragen würde den Rahmen dieses Artikels endgültig sprengen. Deshalb belassen wir es bei Denkanstößen, auch dem folgenden:

„Nun aber, erfährt Viktor telefonisch, ist J. K. krank. Das ist erschreckend und erheiternd zugleich. Den kraftstrotzenden Mann, dem Schwäche bisher defätistisch und Krankheit moralisch anrüchig erschien, kann man sich als Patienten nicht vorstellen. Jetzt fühlt sich der Löwe als Wurm; der Halbgott, der Ärzte sowenig gebraucht hat wie Priester, merkt, daß auch er sterblich ist. So gewaltig wie früher die Kraft, ist nun der Jammer. Er fühlt sich nicht nur geschlagen vom Schicksal, sondern auch noch verhöhnt, weil es ausgerechnet die Prostata ist, die ihn quält. Ehrenvoll zu Boden geht man in seinen Kreisen durch Herzinfarkt, nicht aber so. Ein Riese, der vor Schmerz schreit, wenn der Urin kommen soll und nicht will, ist kein Mann mehr, sondern eine Schießbudenfigur, sagt er, wenn er aus dem Spezialkrankenhaus (das übrigens in der Gegend der Neuen Herrlichkeit liegt) mit der ehemaligen Frau telefoniert, bei der er mit ruhigerem Gewissen jammern kann als bei der neuen, vor der er sich jeder Schwäche schämt.“Zitat aus Günter de Bruyn: Neue Herrlichkeit

Fazit: Falls ein Urinal verfügbar ist, pinkelt der gesunde Mann am besten im Stehen, falls nicht, im Sitzen (dies auf alle Fälle zuhause, wenn er klug ist).

von Prof. Dr. med. J. Sökeland, Dr. med. Hubert E. Weiß (31.10.2007)

Weitere Informationen

Umfangreiche wissenschaftliche Arbeit, auch zur Geschichte von Toiletten und Unterwäsche, mit Literaturliste und Internet-Tipps: Bettina Möllring: Toiletten und Urinale für Frauen und Männer – die Gestaltung von Sanitärobjekten und ihre Verwendung in öffentlichen und privaten Bereichen. Als Dissertationsschrift eingereicht bei der Fakultät Bildende Kunst der Universität der Künste Berlin am 1. August 2003 (derzeit im Internet als PDF verfügbar)

Ironisches Buch: Albert Hauser: Das Sitzpinkel-Manifest. Eichborn, Frankfurt 1997, ISBN 3-8218-3050-6 (nur noch antiquarisch lieferbar)

Für Frauen „weibliches Krisenmanagement von A bis Z“: Lisa Ortgies und Svea Große: Pinkeln im Stau und andere Katastrophen. Der Survivalguide für Frauen. vgs Verlagsges., 2003, ISBN 3-8025-1505-6 (nur noch antiquarisch lieferbar)

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